Nicht nur auf der Kölner Einrichtungsmesse imm cologne im Januar experimentieren Kreative mit runden Architekturformen. 2012 entstand im Osten Kölns, da, wo das Bergischen Land ansteigt, ein ungewöhnliches Gebäude: ein kreisrunder Wohnturm, der wie eine Landmarke aus dem konventionellen Kontext herausragt. Architekt Gerald Wehner spricht über die Effizienz der Rundarchitektur, über die Freiheiten des runden Bauens und die positiven Erfahrungen der Bewohner.
Wohnen mit Wiedererkennungswert: Weil in unserer schnelllebigen Welt alles so einfach austauschbar geworden ist, streben wir Menschen wieder nach mehr Individualität. Architekt Gerald Wehner hat sich diesen Gedanken zum Konzept gemacht – besondere Bauwerke mit Ausstrahlung liegen in seinem Bereich der Architektur. Das von ihm entworfene Rundhaus in Bergisch Gladbach-Bensberg ist sein vielleicht mutigstes Projekt.
Als Architekt entwirft man nicht allzu oft ein rundes Haus. Wie kam es dazu?
Wir wollten in der sehr ungeordneten Umgebung ein Gebäude mit einer einfachen und dadurch prägnanten Form schaffen, um einen ruhigen Pol zu setzen. Das Grundstück liegt in einer großen Kurve auf einem polygonalen Grundstück, das annähernd die Form eines Stoppschildes hat. Ein kubisches Gebäude hätte vieler Vor- und Rücksprünge bedurft, um das Grundstück auszunutzen. Es wäre ein sehr gegliedertes, eher unruhiges Gebäude entstanden. Die runde Form nutzt das Grundstück optimal. Es entsteht ein Gebäude mit einer ruhigen Grundform, dass trotz seiner Größe mit seiner nach hinten gewölbten Fassade nicht zu dominant wirkt.
Welche Unterschiede gibt es im Vergleich zu einem eckigen Haus?
Zu den oben genannten gestalterischen Vorteilen hat die Form den Vorteil, dass die Nachbarn durch das neue Gebäude nicht zu stark bedrängt werden. Das Rundhaus setzt den Nachbarn keine gerade Fassadenfläche parallel zu deren Grundstücksgrenze gegenüber. Die runde Form weicht zurück und schafft einen großzügigen Zwischenraum zur Nachbarbebauung.
In statischer Hinsicht besteht der Vorteil, dass alle Decken, die im Rundhaus zwischen dem Mittelkern und den Außenwänden angeordnet sind, die gleiche Spannweite haben. Die Dicke der Decken kann statisch optimal auf diese Spannweite angepasst werden. Es gibt keine überdimensionierten Deckenbereiche mit kürzeren Spannweiten, was sich positiv auf die Baukosten auswirkt. Außerdem ist das Rundhaus durch seine Form optimal ausgesteift und deshalb sehr stabil.
Auch aus energetischer Sicht hat das Rundhaus eine optimale Form, da es im Verhältnis zur umschlossenen Wohnfläche eine minimale Fassadenfläche aufweist. Es kann deshalb weniger Wärme durch die Fassade nach außen entweichen. Der Energieverbrauch ist deshalb nach Aussagen des Eigentümers erfreulich niedrig. Außerdem besteht kein Problem mit Schimmelbildung, die oftmals in den Außenecken von Gebäuden auftritt, da das Gebäude keine vertikalen Außenecken hat.
Wie effizient ist eine Rundarchitektur? Stehen sich hierbei nicht Baukörper und Grundriss gegenseitig im Weg?
Um die Effizienz eines Gebäudes zu verbessern, ist es wichtig, die Verkehrsflächen im Vergleich zu den Wohn- und Nutzflächen gering zu halten. Das gelingt mit der runden Architektur sehr gut, da alle Verkehrsflächen, das Treppenhaus und die Wohnungsflure, sehr kurze Ringe im Zentrum des Gebäudes bilden. Von diesen Ringen werden die großflächigen Wohn- und Nutzflächen an der Außenseite des Gebäudes erschlossen. Es sind deshalb keine langen, engen und dunklen Flure notwendig.
Zusätzlich kann die Tiefgarage sehr effizient dimensioniert werden. Die Fahrgasse bildet einen Ring, von dem alle Stellflächen strahlenförmig nach außen hinausragen, wie bei einem Lokschuppen. Dadurch können die Fahrzeuge beim Aus- und Einparken immer im Winkel von etwa 45° in die Fahrgasse einbiegen, was das Einparken sehr erleichtert und schmalere Verkehrsflächen erfordert.
Im Wohnbereich ergeben sich durch den Baukörper im Grundriss konische Räume, die sich nach außen zum Licht öffnen – mit dem Ergebnis eines großzügigen Raumeindrucks und einer hellen, freundlichen Atmosphäre.
Außerdem wurde durch die Wahl des statischen Systems auf größtmögliche Flexibilität geachtet. Da nur der innere Kern und die Außenfassade als tragende Wände notwendig sind, kann auf alle inneren Trennwände verzichtet werden, falls dies von den Bewohnern gewünscht wird. Eine Etage könnte somit im Extremfall aus einem großen ringförmigen Raum mit dem Kern im Mittelpunkt bestehen.
Der Baukörper hat somit einen sehr positiven Einfluss auf die Grundrissgestaltung des Gebäudes und bietet eine hohe Effizienz, einen freundlichen Raumeindruck, sehr viele Freiheiten und Gestaltungsmöglichkeiten.
Was sind die Erfahrungen der Bewohner? Wie lebt es sich in einem runden Haus?
Die Zufriedenheit der Mieter des Rundhauses ist sehr hoch. Das wird an der geringen Fluktuation sichtbar. Der Bauherr war sehr überrascht, wie problemlos sich die Vermietung gestaltete. Die Form hatte in diesem Zusammenhang einen positiven Effekt, da das Haus etwas Besonderes ist. Eine Mieterin meinte: „Ich hatte ehrlich gesagt so meine Zweifel, was die Nutzbarkeit der Räume betrifft. Ich hatte gedacht, dass innen alles viel runder ist. Trotz erkennbar gewölbter Außenwände gibt es genug Möglichkeiten, an den Zwischenwänden Möbel und andere Dinge aufzustellen.“
Zum Tag der Architektur, an dem wir das Rundhaus vorstellten, sprachen uns Besucher mit großem Interesse am Wohnen im Rundhaus an und erkundigten sich, ob eine Wohnung noch frei wäre oder würde. Leider mussten wir das verneinen, da es keine Fluktuation gibt. Eigentlich wäre mindestens ein zweites Rundhaus notwendig, um das Wohninteresse zu stillen. Selbst ich wollte eine Wohnung darin beziehen und kam leider zu spät.
Eine Besucherin stellte sich vor, einige der flexiblen Innenwände zu entfernen, um in einem sehr großzügigen runden Loft zu wohnen, den es sonst nirgends gibt. Bemerkenswert fanden Besucher wie auch Bewohner die helle, natürlich belüftete Tiefgarage, die auch für große Pkw genügend Platz zum Ein- und Ausfahren bietet.
Die Mieter begeistern sich immer wieder über ihren tollen Blick nach Köln zum Dom, ins Siebengebirge oder auch ins Bergische Land. Außerdem freuen sie sich immer wieder über die Fahrt im Glasaufzug durch das lichtdurchflutete runde Treppenhaus mit darüber liegender Glaskuppel, die den Blick zum Himmel bei jedem Wetter direkt freigibt.
Die tiefen, sich nach außen weitenden Loggien, die über großzügige Glasflächen mit dem Wohnraum der Wohnungen verbunden sind, werden begeistert angenommen, da es dort ausreichenden Platz für eine Cafétafel gibt und sie die Möglichkeit bieten, bei jedem Wetter im Freien zu sitzen.
Verlangt der Grundriss eine bestimmte Möblierung? Gibt es Besonderheiten?
Da der Grundriss mit den axial nach außen gerichteten Wänden, die den Kern mit den Außenwänden verbinden, auch über eine große Anzahl gerader Wände verfügt, sind keine speziell angepassten Möbel notwendig. Es gibt genügend Stellflächen für handelsübliche, gerade Möbel. In machen Wohneinheiten gibt es Platz für bis zu 7,50 m lange Möbelstücke. Jeder Raum verfügt seitlich über zwei gerade Wände. Nur die Außenwand mit den Fenstern und die Innenwand mit den Türen sind leicht gewölbt. Dort ist aber normalerweise sowieso kein guter Platz für Möbel.
Wie sind die Räume aufgeteilt? Gibt es eine offenere Wohnfläche?
Wie schon gesagt sind die Grundrisse durch die Konstruktion des Hauses sehr frei einzuteilen. Von der konventionellen 2-3-4-Zimmerwohnung mit abgetrennter Küche bis zur offenen Loft-Wohnung mit freistehender Kücheninsel ist alles denkbar. Außerdem konnten die Wohnungsgrößen vor der ersten Belegung frei eingeteilt werden, da die Konstruktion die freie Einteilung der Wohnungstrennwände erlaubt. Wie bei einer Torte konnten Stücke mit der gewünschten Größe nach persönlichen Präferenzen ausgesucht und angemietet werden.
Worin liegt der Reiz, in einem runden Haus zu wohnen?
Nach unserer Erfahrung liegt der Reiz für viele Mieter darin, in einem Gebäude zu wohnen, das als neues Wahrzeichen in Bergisch Gladbach-Bensberg einen klaren Wiedererkennungswert hat und eine Adresse bietet, mit der sich die Bewohner identifizieren können. In einer Zeit, in der vieles austauschbar und verwechselbar ist, werden feste Orientierungspunkte für Menschen wichtiger. Deshalb war das Interesse an dem Gebäude sehr groß und für die Vermietung eigentlich keine Werbung notwendig.
Überraschend war, dass sich zusätzlich Unternehmen für die Räumlichkeiten im Rundhaus interessiert haben, die repräsentative und besondere Räumlichkeiten mit hohem Wiedererkennungswert suchten.
Ist ein Rundbau in erster Linie eine Sonderlösung, oder gibt es für das Konzept praktikable Gründe, es im Stadtbild vermehrt umzusetzen?
Da wir als Büro für individuelle Architektur stehen, die ergebnisoffen aus der besonderen Bauaufgabe und dem jeweils einmaligen Umfeld des Gebäudes erwächst, ist jedes Projekt für uns eine Sonderlösung. Das macht die Persönlichkeit durchdachter Architektur aus, die immer, in gewissem Rahmen, ein Unikat sein sollte. Wir finden aber, dass speziell Rundhäuser als Gebäudetypologie viele Vorteile und Möglichkeiten bieten, die wir, angepasst an andere Situationen, gerne weiter erforschen und erproben würden. Das Rundhaus ist eine in der Baugeschichte immer wieder anzutreffende Form. Es wird sogar davon ausgegangen, dass die ersten Häuser rund waren.
Wir stoßen zurzeit an, dass unseren Rundhäusern im Rahmen der städtebaulichen Nachverdichtung – also der Erschließung von Freiflächen, deren Nutzung die Nachbarschaft nicht bedräng – oder zum Beispiel beim energiesparenden Bauen vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Könnten Sie persönlich sich vorstellen, in einem runden Leuchtturm zu wohnen?
Das könnte ich mir – wenigstens vorübergehend – sehr gut vorstellen. Als Beispiel fällt mir dazu der Leuchtturm Roter Sand ein, der wie eine Insel in der Nordsee steht. Dort könnte man sicherlich sehr gut ausspannen. Die runde Form ist stets sanfter und beruhigender.