Hildegard D´ham war 35 Jahre alt, als sie den Entschluss fast, beruflich noch einmal neu anzufangen: mit einer Ausbildung zur Tanzlehrerin. Dabei war sie auf dem besten Weg, als Chefsekretärin im Sozialamt Karriere zu machen. 

„Von außen betrachtet ein fester Job mit Perspektive“, meint D’ham. Doch um Geld und Sicherheit sei es ihr bei der Berufswahl nie gegangen. Die Frau aus Mühlheim an der Ruhr fühlte sich von Jahr zu Jahr unwohler im Büro. Sie sehnte sich nach Veränderung: „Ich empfand die Art der Arbeit als Sackgasse und war bereit jedes Risiko einzugehen, um glücklich zu sein“, erzählt sie.

Schon zuvor probierte sie verschiedene Berufe aus: Mit dem zweitbesten Abitur ihres Jahrgangs in der Tasche begann sie ein Medizinstudium, wechselte dann zu Latein, Deutsch und Geschichte auf Lehramt. Im Referendariat kamen die ersten Zweifel. „Obwohl ich das Lehrer sein mochte, konnte ich mir plötzlich nicht mehr vorstellen, diese Fächer zu unterrichten“, sagt sie. Als Studentin jobbte sie mal als Reitlehrerin, mal als Freizeitbetreuerin für Kinder oder als Büroaushilfe in einer Bank. Danach kam die feste Stelle bei der Stadt, die sie zugunsten ihres heutigen Traumberufs kündigt.

Der Zickzack-Lebenslauf von Hildegard D´ham ist kein Einzelfall. Etwa acht Millionen Deutsche fangen pro Jahr einen neuen Job an. Einige bleiben ihrem Beruf treu und wechseln nur den Arbeitgeber, manche kämpfen sich aus der Arbeitslosigkeit heraus, wieder andere wagen den Neuanfang. Die Brüche in Biographien – ob freiwillig oder unfreiwillig- nehmen zu. Junge Menschen fühlen sich bei der Berufswahl oft überfordert. Sie probieren mehrere Karrierewege aus, bis einer dabei ist, der ihnen gefällt. Auf der anderen Seite müssen Berufstätige heute flexibel sein und unter verstärktem Erfolgsdruck arbeiten. Mit der Folge, dass viele Arbeitnehmer gar keine andere Wahl haben, als sich umzuorientieren. Was auch etwas Positives bewirken kann, denn die Frage „Bin ich glücklich?“ tritt bei einem Knick in der Karriere plötzlich in den Vordergrund.

Hildegrad D´hams Schritt zum beruflichen Glück kostete Überzeugungsarbeit bei ihren Eltern und Freunden. „Ohne den Zuspruch meiner Eltern hätte ich es nicht geschafft“, sagt sie ganz offen. „Sie wussten ja, dass ich schon Erfahrungen als Rock ‘n‘ Roll Tänzerin gesammelt hatte“. Damals schaffte sie es in ihrer Formation bis zur WM-Qualifizierung. Statt auf Turnieren zu tanzen, wollte sie jetzt andere Menschen unterrichten.

Die zierliche Frau findet eine Ausbildungsschule des Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverbands, die sie als Schülerin aufnimmt. Was folgte, war ein Intensivprogramm: In vier Jahren sollte sie die Palette der Standard- und lateinamerikanischen Tänze auf Profi-Niveau können sowie als standhafte Kursleiterin auftreten. Für die eher ruhige und zurückhaltende Frau eine echte Herausforderung. „Hinzu kam, dass ich mich als Schülerin ganz schön unterordnen musste “, sagt sie. Doch diesmal gibt sie nicht auf. Und kämpft sich bis zur Meisterprüfung durch.

Durch die Ausbildung sei sie selbstbewusster geworden, weil sie im Umgang mit Menschen geschult wurde, erzählt D´ham. Mittlerweile freut sie sich, täglich neue Leute zu treffen. „Kein Tag ist wie der andere. Mal trainiere ich Kinder, mal Senioren oder tanze mit meinem Partner zusammen.“ Swing ist ihr Lieblingstanz, in ihren Kursen unterrichtet sie aber fast alle Stile: von Quickstep über Rumba und Tango bis hin zu Walzer, Slow- oder Disco-Fox. Manchmal verzichtet sie auf einen festen Assistenten, weil sie die Schritte der Frauen und Männer beherrscht. Dann spricht sie spontan einen ihrer Kursbesucher an, um die Kombination zu zeigen. So tanzt jeder einmal mit der Lehrerin und auch die Paare wechseln untereinander. Ein eigenes Konzept, dass für Abwechslung und eine familiäre Stimmung sorgen soll, auf die Hildegard D´ham viel Wert legt. Momentan unterrichtet sie an drei verschiedenen Tanzschulen in Mülheim, Duisburg und Essen. Ihr Traum ist eine eigene Tanzschule. „Dann hätte ich es geschafft“, meint sie.