Freundlichkeit ist eine Tugend, die die Gesellschaft zusammenhält und uns im Alltag hilft. Doch was bewirkt Freundlichkeit konkret in uns und wie können wir sie wieder erlernen?
Wer freundlich ist, aktiviert das Belohnungssystem im Gehirn, das die Ausschüttung von Dopamin und anderen Glückshormonen wie Oxytocin fördert. Das steigert das Wohlbefinden, baut Stress ab und stärkt das Immunsystem. Freundlichkeit wirkt sich auch positiv auf soziale Beziehungen aus. Freundliche Menschen wirken zugänglicher und vertrauenswürdiger.
Der Kommunikationsexperte Réne Borbonus beschreibt in seinem Buch „Über die Kunst, ein freundlicher Mensch zu sein“, dass Freundlichkeit nicht nur die eigene psychische Gesundheit stärkt, sondern auch die Gesellschaft. „Wir sehnen uns nach guten Diskursen“, sagt er. Doch viele sind debattenmüde, weil Auseinandersetzungen oft unfreundlich verlaufen. Oft ist nicht die andere Meinung das Problem, sondern der Umgang damit. Eine wesentliche Säule der Freundlichkeit ist daher Respekt – in der Sprache und im Verhalten.
Freundlich sein ist eine bewusste Entscheidung
„Freundlichkeit wird fast immer gespiegelt“, so Borbonus, und führt zu Kooperation: „Ein gutes Wort kann aus Nachbarn Freunde machen, erschöpfte Menschen wieder aufrichten und sogar Ladenöffnungszeiten aushebeln.“
Freundlichkeit kann – wie jede andere Fähigkeit – durch regelmäßiges Üben zur Gewohnheit werden. Es beginnt mit der inneren Einstellung und dem Bewusstsein der eigenen Wirkung. Aktives Zuhören, Einfühlungsvermögen und eine positive Sprache stärken die Verbindung zu anderen.
Bewusstsein schaffen: Freundlichkeit ist eine bewusste Entscheidung. Wer sich vornimmt, freundlicher zu sein, merkt schnell die positive Wirkung. „Die Kunst liegt darin, auch dann freundlich zu sein, wenn es schwerfällt“, sagt Nora Blum. Die Berliner Psychologin und Unternehmerin praktiziert „radikale Freundlichkeit“ und hat gerade ein Buch zum Thema veröffentlicht.
Freundlichkeit ist auch eine Frage der Wahrnehmung. „Das, was andere wahrnehmen, passiert auf der Verhaltensebene. Da kann man einiges falsch machen“, erklärt Kommunikationsprofi Borbonus. Ein überzogenes Trinkgeld kann freundlich wirken – oder herablassend. Entscheidend ist, wie die freundlich gemeinte Geste beim Gegenüber ankommt.
Aktiv zuhören: Gutes Zuhören ist wesentlich für Gespräche. „Wir denken immer, wir würden wirken, wenn wir viele Worte machen. Tatsächlich wünschen die meisten Menschen sich, dass man sie wahrnimmt und ihrer Meinung Beachtung schenkt“, sagt Borbonus. Wer aufmerksam zuhört, ohne innerlich zu kommentieren oder eine Antwort vorzubereiten, erfährt eine neue Resonanz.
Empathie entwickeln: Sich in andere hineinzuversetzen, fördert das gegenseitige Verständnis. „Wir wollen niemanden verletzen, tun es aber oft“, sagt Borbonus. Ein Beispiel sei das Bagatellisieren von Gefühlen. Die Antwort „Das ist doch nicht schlimm“ nehme die Angst eines Kindes nicht ernst. Respekt bedeutet, den anderen wirklich zu sehen.
Auch bei Unfreundlichkeit oder Ablehnung sollte man respektvoll bleiben. „Ich versuche bei Verhalten, das mich stört, nach drei tiefen Atemzügen eine wohlwollende Erklärung zu finden“, sagt Blum. Dabei gehe es vor allem darum, die Sache nicht persönlich zu nehmen. „Ein zugewandtes, freundliches Gesicht hilft direkt, die Situation zu entspannen“, rät sie. Danach gilt es, nachzufragen und geduldig zu sein. „Das sind Fähigkeiten, die uns abhandengekommen sind“, so die Psychologin.
Positive Sprache verwenden: Auch eine wohlwollende Sprache kann Spannungen abbauen. Allerdings reagiert jeder anders auf bestimmte Worte. „Menschen fühlen sich unfreundlich behandelt, wenn sie Worte hören, die schlechte Gefühle bei ihnen auslösen“, erzählt Borbonus. „Müssen“, „Nein“ und „Aber“ sind für viele Menschen Reizworte. Ebenso einige Kriegsmetaphern. „Wenn wir jemandem schon ankündigen, dass wir ‚einen Anschlag vorhaben‘, dürfen wir uns nicht wundern, wenn der sich angegriffen fühlt“, sagt er. Auch wenn wir einen Einwand als „Nebenkriegsschauplatz“ abkanzeln, klinge das feindselig, so der Experte. Blum betont die Impulskontrolle: „Gerade im Stress reagieren wir oft mit Unfreundlichkeit. Wer sich bewusst stoppt, kann dieses Muster durchbrechen.“
Kleine Gesten, große Wirkung: Freundlichkeit muss nicht spektakulär sein. Ein Lob, ein Kompliment oder eine helfende Hand sind einfache, aber wirksame Mittel. „Helfen macht froh“, sagt Borbonus. Und ein Lächeln wirkt Wunder – „viele Leute lächeln zurück, wenn man sie anlächelt“, erzählt Blum. Das schafft positive Begegnungen und steckt an. Auch Höflichkeitsfloskeln wie „Bitte“ und „Danke“ sind weit mehr als Formen – sie zeigen Wertschätzung und bauen Vertrauen auf.
Präsenz zeigen: Freundlichkeit und Aufmerksamkeit gehören zusammen. Wer seinem Gegenüber echte Präsenz schenkt, legt das Smartphone weg und lässt sich auf den Moment ein. „Wenn ich durch die Straßen gehe oder in der U-Bahn sitze, haben drei von vier Menschen die Nasen in ihren Smartphones – und das raubt uns einen der Grundbausteine für Freundlichkeit – unsere Wahrnehmung“, erzählt Nora Blum.
Blickkontakt ist ein einfaches Mittel, um Präsenz zu zeigen. Denn „ohne Kontakt zur Umgebung kann ich niemandem freundlich begegnen“, so Blum. Eine offene Körperhaltung signalisiert Interesse und Offenheit. Entscheidend ist, den Körper dem Gegenüber zuzuwenden – vom Kopf bis zum Bauchnabel.
Verbindlich sein: „Verbindlichkeit bildet die Grundlage für Vertrauen“, sagt Borbonus. Ohne Vertrauen entstehen keine guten Beziehungen. Die Grundregel ist simpel: Versprechen halten. Dabei geht es nicht nur um große Zusagen – auch kleine Gesten der Beständigkeit zählen. „Die Bedeutung von Kontinuität wird massiv unterschätzt“, so Borbonus. Wer regelmäßig Interesse zeigt und Kontakt hält, wird als verlässlicher Gesprächspartner wahrgenommen.
Grenzen der Freundlichkeit
Freundlichkeit funktioniert nur, wenn sie aus innerer Stärke kommt – und nicht aus Angst vor Ablehnung. „Freundlichkeit ist keine Schwäche“, sagt Nora Blum. Aber viele setzen sie fälschlicherweise mit Nachgiebigkeit gleich. „Es ist sehr viel freundlicher, klar seine Bedürfnisse auszusprechen, Grenzen zu setzen und Nein sagen zu können, damit das Gegenüber nicht im Dunkeln tappt.“
Gerade in der Arbeitswelt hält sich hartnäckig die Vorstellung, dass Erfolg nur mit Härte und Durchsetzungsvermögen möglich ist. „Der alte Stereotyp vom knallharten Manager, der die Ellbogen ausfahren muss, sitzt tief“, so Blum. Doch die Realität zeigt: Wer freundlich kommuniziert und dabei konsequent bleibt, gewinnt Verbündete statt Gegner.