Ein Spaziergang auf der neu gestalteten Severinstraße führt geradewegs am Severinskirchplatz vorbei. Vom Chlodwigplatz aus sind es nur wenige Schritte, bis sich der Kopfstein gepflasterte Platz mit der dreischiffigen Basilika und dem Pralinenmädchen zeigt. Der Kirchplatz ist das Zentrum des Severinsviertels, das als urkölsches Viertel auf mehr als 2.000 Jahre Geschichte zurückblicken kann. Es wundert nicht, dass auf traditionelle Feste viel Wert gelegt wird.

Das Vringsveedel, wie es die Kölner nennen, gehört zu den ältesten und traditionsreichsten Vierteln in Köln. Es war das südlichste Viertel innerhalb der mittelalterlichen Stadtmauer und weist eine dörfliche Struktur mit kleinen Gassen, schmalen Straßen und einem Kirchplatz in der Mitte auf, obgleich das Viertel heute inmitten einer Großstadt liegt.

Der Severinskirchplatz ist ein offen gestalteter Platz, der von allen Seiten begehbar ist. Auf der Ostseite befindet sich die katholische Kirche Sankt Severin, eine von zwölf noch erhaltenen romanischen Kirchen in Köln. Ihr Grundbau stammt aus dem 4. Jahrhundert. Im Norden grenzt die Pfarrei mit ihren Häusern an den Platz, die sich entlang der Straße Severinskloster aneinanderreihen. Auf der Westseite führt die Severinstraße vorbei, die Haupteinkaufsstraße des Viertels. Ihre Sanierung wurde vor kurzem abgeschlossen, so dass die Passanten jetzt auf einer ebenen und ausgebauten Straße schlendern können. Im Süden schmiegt sich ein kleiner Weg an den Platz, an dem sich kleine Läden befinden, die beispielsweise hübsche selbstgemachte Kerzen anbieten oder individuell angefertigten Goldschmuck. Außerdem gibt es hier ein Restaurant mit kölnischer Küche sowie ein Café, das zu Kaffee und Kuchen einlädt. Ein Abstecher nach einem Einkaufsbummel lohnt sich. Von einem Fensterplatz aus erhält man einen schönen Blick auf den Severinskirchplatz.

 

Pralinenmädchen erinnert an Schokoladenfabrik

Auf der Südspitze des Platzes steht ein kleiner Brunnen mit einer bronzenen Frauenfigur. Das so genannte „Stollwerck-Mädchen“ lächelt die Passanten an und bietet ihnen stets eine gefüllte Pralinenschachtel an. Brunnen und Statue wurden vom Bildhauer Sepp Hürten geschaffen, der dafür 1988 den Severinsbürgerpreis erhielt. Sein Modellvorschlag überzeugte die Jury der Interessengemeinschaft Severinsviertel, die zuvor einen Wettbewerb ausgeschrieben hatte, bei dem zehn Künstler gebeten wurden, einen Entwurf für den Brunnen auf dem Severinskirchplatz einzureichen.

Das Denkmal steht seit April 1990 auf dem Platz und soll an die Arbeiterinnen in der Schokoladenfabrik erinnern, die viele Jahre das Bild des Viertels prägten. Die Fabrik wurde 1839 von Franz Stollwerck gegründet und befand sich bis 1975 auf einem zuletzt 55.000 Quadratmeter großen Gelände im Severinsviertel. Etwa dort, wo heute das Bürgerhaus Stollwerck steht. Im Jahr 1972 übernahm Hans Imhoff die Schokoladenfabrik und verlagerte die Produktion auf andere Standorte.

 

Severinskirchplatz: Epizentrum des Karnevals

Aufgrund seiner Historie und Struktur ist der Severinskirchplatz der Hauptaustragungsort für alle großen Feste des Viertels geworden. Seit 31 Jahren findet jeweils am dritten Wochenende im September „Dä längste Desch vun Kölle“ statt, ein bis zu 800.000 Besucher starkes Straßenfest entlang der Severinstraße, bei dem die Hauptbühnen auf dem Kirchplatz stehen. Die Konzerte ziehen jedes Mal viele Menschen an, die bei guter Musik oft den ganzen Nachmittag oder Abend auf dem Kirchplatz verweilen.

 

So auch an Karneval: Neben dem Alter Markt in der Altstadt wird hier an Weiberfastnacht der Straßenkarneval eröffnet. Hunderte von Menschen drängen sich auf den Platz, um das Bühnenspektakel mit dem Kölner Dreigestirn mitzuerleben und die neuesten Hits von den Höhnern, den Bläck Fööss oder Marita Köllner alias „Et fussich Julche“ zu hören. Das WDR-Fernsehen und Radio Köln übertragen den Karnevalsauftakt live vom Severinskirchplatz – sowie auch den Rosenmontagszug, der in diesem Viertel je nach Beschluss des Festkomitees startet oder endet.

 

Regelmäßige Märkte und Adventsprogramm

Neben den Festen, die sich durch das ganze Viertel ziehen, wird der Severinskirchplatz auch als alleiniger Austragungsort von Veranstaltungen und Märkten genutzt. An normalen Tagen findet jeden Dienstag und Freitag ein Ökomarkt statt. Rheinische Bio-Landwirte bieten ökologisch angebautes Obst und Gemüse aus der Region an. Um die Weihnachtszeit verkaufen die regionalen Förster hier auch ihre Tannenbäume. Anfang Dezember wird der Platz mit einem großen Weihnachtsbaum geschmückt. Zu weihnachtlicher Stimmung soll außerdem ein „musikalischer Adventskalender“ der Interessengemeinschaft Severinsviertel verhelfen. Bis zum 23. Dezember treten jeden Tag verschiedene Kölner Sänger, Chöre und Musikbands auf. Dazu wird Glühwein und Kinderpunsch ausgeschenkt. Für die Kleinen kommt am Wochenende des 11. und 12. Dezembers ein kölscher Nikolaus vorbei, mit dem man sich fotografieren lassen kann.

 

Weitere Weihnachtsaktionen veranstaltet die Pfarrei der Severinskirche: Die diesjährige Kirchenkrippe steht unter dem Motto „Quell des Lebens“ und kann täglich während der Öffnungszeiten besichtigt werden. Außerdem finden in der Vorweihnachtszeit adventliche Treffen vor dem Kirchenfenster statt, die jedes Mal von anderen Familien oder Institutionen mit Gesang, Gebet oder Geschichten vorbereitet werden. Die Treffen finden unter der Woche um 18 Uhr und an den Wochenenden um 17 Uhr statt und dauern circa 15 Minuten. Nähere Informationen gibt es im Schaukasten an der Kirche oder im Internet unter www.st-severin-koeln.de.

 

Romanische Kirche mit gotischen Zügen

Die Kirche Sankt Severin ist das größte Augenmerk auf dem Platz. Im Gegensatz zu der engen und schmalen Bebauung im Viertel wirkt der dreischiffige Bau nahezu gewaltig. Sein Westturm ragt dominant über die Dächer des Severinsviertels. Doch diese Größe hatte die Kirche nicht immer. Im Jahr 376 soll der heilige Severin den Märtyrern Cornelius und Cyprianus ein kleines Monasterium geschenkt haben, das inmitten eines römischen Friedhofs entlang der heutigen Severinstraße lag. Die kleine Kapelle war damals 9,20 Meter lang und 7,60 Meter breit und bestand aus einem nach Westen ausgerichteten Saal mit halbrunder Apsis. In den folgenden Jahrhunderten wurde der Bau schrittweise erweitert. Im 6. Jahrhundert entstanden die ersten Seitenräume, eine Vorhalle und ein Atrium. Im 10. Jahrhundert wurde die Kirche erstmalig auf ein festes Fundament gestellt und eine dreischiffige, flach gedeckte Pfeilerbasilika mit dreiteiligem Chor gebaut, der nun im Osten lag. Die Vorhalle wurde in den Westen verlagert. Wesentliche Abschnitte der heutigen Kirche wurden im 12. und 13. Jahrhundert errichtet, beispielsweise der 1237 geweihte Hochchor.

 

Obwohl der Urbau der Kirche auf romanischer Baukunst basierte, haben spätere Umbauten zu einem gotischen Erscheinungsbild geführt. So wurde beispielsweise 1393 der romanische Westturm abgerissen und ein gotischer Nachfolgebau mit Glockenstuhl gebaut. Er verleiht der Kirche heute ihr charakteristisches Erscheinungsbild. Vom 13. bis 16. Jahrhundert wurde das Langhaus im (spät-)gotischen Stil erneuert. Aus dieser Zeit stammen unter anderem die spitzbogigen weiten Arkaden und das Netzgewölbe im Innenraum. Dagegen ist romanische Baukunst heute zum Beispiel noch im Hochchor zu erkennen. Die Rundbögen sowie die Formen der Rosettenfenster und der Zwerggalerie unter dem Dach zeigen typische Stilelemente.

 

 

Drittwichtigster Stift in Köln

Die Kirche war lange Zeit den Patronen Cornelius und Cyprianus geweiht. Das änderte sich, als Papst Leo III. den heiligen Severin um 800 zum Patron der Kirche erkor. Cornelius und Cyprianus bestehen seitdem als Nebenpatronen. Im 8. Jahrhundert ließ sich ein Stift der Kanoniker nieder, wodurch die Basilika zur Stiftskirche ernannt wurde. Sankt Severin galt nach dem Dom und Sankt Gereon als das drittwichtigste Stift in Köln. Es hielt bis 1802 bestand – solange, bis das Stift im Zuge der Säkularisation aufgelöst und die Klosterkirche von der Pfarrgemeinde übernommen wurde.

 

 

Severin soll gegen Dürre geholfen haben

Severin war der dritte Bischof von Köln. Vermutlich wurde er in Bordeaux geboren und lebte gegen Ende des 4. Jahrhunderts in Köln. In der ehemaligen Friedhofskapelle soll ein Teil seines Leichnams beigesetzt worden sein. Allerdings lässt sich sein Grab heute nicht mehr eindeutig nachweisen. Seine Gebeine sind in einem Schrein aufbewahrt worden, der sich im Hochchor der Kirche befindet und bei Prozessionen mitgeführt wird.

 

Severin soll schon bald nach seinem Tod als Heiliger verehrt worden sein. Viele Legenden ranken sich um ihn. Auf den Tafeln im Hochchor werden sie anschaulich erzählt. Beispielsweise soll er den Kölnern während einer Dürreperiode Regen gebracht haben. Oder gewusst haben, wie man andauernde Niederschläge beendet. Im Jahr 590 taucht er in der Lebensgeschichte des Martin von Tours auf. Nach dieser habe er die Engel Singen gehört, als Martin in den Himmel gefahren ist. Aufgrund dieses Hinweises vermuten Historiker, dass der heilige Severin genauso sozial-karitativ gewesen sein muss wie der heilige Martin.

 

Fundgrube für Archäologen und Historiker

Die kleine Urkapelle aus dem 4. Jahrhundert, die auf einem Gräberfeld stand, ist unter der heutigen Kirche begraben. Genauso wie Römer, Franken und Urbier, die hier beigesetzt wurden. Die Reste der Gräber und des früheren Kirchenbaus machen die Severinskirche zu einer interessanten archäologischen Fundgrube. Auf 400 Quadratmetern Grabungsgelände sind wertvolle Sarkophage aufgetaucht. Die ältesten stammen aus dem 1. Jahrhundert nach Christus. Zudem konnten die Archäologen acht Bauetappen nachweisen.

 

Die Ausgrabungszone befindet sich unter dem heutigen Mittelschiff der Kirche. Regelmäßig führen Mitarbeiter des Domforums oder des Römisch Germanischen Museums durch Sankt Severin und die Ausgrabungen. Hierbei gelangt der Besucher auch zu einer Ausstellung von acht kostbaren Stoffen aus Seide und Leinen, die Mitarbeiter bei der Schreinsöffnung im Jahr 1999 gefunden haben. Die Reliquien stammen aus dem Orient und blieben den Forschern viele Jahre unentdeckt. In einem der Tücher wurden nachweislich die Gebeine des heiligen Severins eingewickelt.

 

Bürgerpreis: Engagement wird belohnt

Der Severinsbürgerpreis wird seit 1984 jährlich an eine Person oder Institution vergeben, die sich in besonderem Maße für Kunst, Kultur und Brauchtum in Köln einsetzt. Der gleichnamige Verein beobachtet hierfür vor allem engagierte Menschen aus dem Severinsviertel. Unter den Preisträgern waren bislang Schriftsteller, Musiker, Archäologen, bildende Künstler oder Schulleiter.